Zum 25. Mai 2019 trat die neue Fassung der Barrierefreien-Informationstechnik-Verordnung (BITV ) 2.0 in Kraft.
Seit dem 28. Juni 2025 ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft und macht digitale Teilhabe nun auch für private Unternehmen verpflichtend.
Doch wie steht es um die praktische Durchsetzbarkeit?
Und wie ergänzt sich das neue Gesetz mit der BITV 2.0, die bereits für Behörden gilt?
Das BFSG wurde im Jahr 2021 beschlossen und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.
BFSG – Ein Gesetz für mehr digitale Gerechtigkeit
Menschen mit Behinderungen stoßen im digitalen Alltag noch immer auf viele Hürden: nicht lesbare PDFs, unbeschriftete Buttons, keine Alternativen für blinde oder gehörlose Nutzerinnen.
Während öffentliche Stellen durch die BITV 2.0 (Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung) seit Jahren verpflichtet sind, ihre Angebote barrierefrei zu gestalten, betrifft das BFSG nun auch private Unternehmen – von Banken bis Online-Shops.
„Das ist ein Paradigmenwechsel“, sagt Dr. Helga Zimmermann vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV), “endlich gelten auch für den privaten Sektor Mindeststandards.“
Wer ist verpflichtet – und wer nicht?
Die BITV 2.0 betrifft Behörden auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene. Sie müssen Websites, Apps und digitale Formulare barrierefrei gestalten – technisch und inhaltlich.
Das BFSG hingegen gilt für bestimmte private Anbieter, insbesondere:
- Banken und Finanzdienstleister
- E-Commerce-Anbieter
- Ticket- und Buchungssysteme
- Selbstbedienungsterminals (z. B. Fahrkartenautomaten)
Kleinunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und unter 2 Mio. € Jahresumsatz sind davon jedoch ausgenommen.
Barrierefreiheit – aber für wen?
Beide Regelwerke orientieren sich an einem breiten Behinderungsbegriff – sie umfassen Menschen mit:
- Seh- oder Hörbehinderungen,
- motorischen oder kognitiven Einschränkungen,
- Lernbehinderungen,
- sowie altersbedingten Beeinträchtigungen.
„Barrierefreiheit hilft nicht nur Behinderten“, betont Inklusionsaktivist Cem Avci.
Sie würde auch Senioren, Menschen mit wenig Technikverständnis oder Sprachproblemen nützen.
Rechte haben – und durchsetzen?
Beide Gesetze setzen auf ein sogenanntes Schlichtungsverfahren, das bei Verstößen eingeleitet werden kann.
Nach § 34 BFSG zieht die Schlichtungsstelle auf Antrag des Verbrauchers die Marktüberwachungsstelle (MLBF) als Beteiligte im Schlichtungsverfahren hinzu.
„Die Verfahren sind niedrigschwellig, aber nicht bindend“, kritisiert Professorin Julia Lange von der Hochschule Fulda.
Es brauche Mut, sie einzuleiten – und Durchhaltevermögen, wenn keine Einigung erzielt wird.
Kommt es nicht zu einer Einigung, können Betroffene den Klageweg beschreiten.
Doch der ist oft lang, teuer – und riskant.
Beschreibung des Schlichtungsverfahrens
Das Flussdiagramm zeigt den Ablauf eines Schlichtungsverfahrens, das mit einem Schlichtungsantrag beginnt.
Der Ablauf gliedert sich in folgende Schritte:
- Prüfung des Antrags:
Der Antrag wird formell überprüft.- Falls der Antrag unzulässig ist, erfolgt eine Ablehnung des Antrags
- Wenn der Antrag zulässig ist:
- Stellungnahme des Antragsgegners:
Der Antragsgegner gibt eine schriftliche Stellungnahme ab. - Daraufhin erfolgt die Erwiderung des Antragstellers.
- Stellungnahme des Antragsgegners:
- Danach führen mehrere mögliche Wege weiter:
- Schlichtungsvorschlag: Es wird ein Vorschlag zur Einigung gemacht. Dieser kann:
- Abgelehnt werden → Es wird festgestellt, dass keine Einigung möglich ist.
- Angenommen werden → Es kommt zur Einigung.
- Schlichtungsgespräch:
Die Parteien nehmen an einem Gespräch teil. Dieses kann zu einer Einigung oder zur Feststellung führen, dass keine Einigung möglich ist. - Mediation:
Die Parteien einigen sich in einem Mediationsverfahren. - Alternativ: Der Antragsgegner erfüllt freiwillig die Forderung des Antragstellers (direkte Einigung ohne weitere Verfahren).
- Schlichtungsvorschlag: Es wird ein Vorschlag zur Einigung gemacht. Dieser kann:
- Wenn eine Einigung erzielt wird (durch Vorschlag, Gespräch, Mediation oder freiwillige Erfüllung), ist das Schlichtungsverfahren beendet.
- Wird keine Einigung erreicht, wird ebenfalls festgestellt, dass das Verfahren beendet ist, allerdings ohne Ergebnis.
Mehr Informationen zur Antragstellung enthält die Homepage der Schlichtungsstelle beim Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen
Zentrale Überwachung der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben aus dem BFSG
Nach § 20 BFSG ist die Überwachung der Einhaltung der Vorgaben des BFSG Ländersache.
Die Bundesländer sind in einem Staatsvertrag jedoch übereingekommen, die Marktüberwachung zu zentralisieren und haben die Schaffung einer Anstalt des öffentlichen Rechts mit dem Namen „Marktüberwachungsstelle der Länder für die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen“ (MLBF) beschlossen.
Die MLBF ist eine neue Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) mit Sitz in Magdeburg (Sachsen-Anhalt).
Ziel ist eine einheitliche Behandlung und Durchsetzung der BFSG-Vorgaben in ganz Deutschland.
Mit anfangs rund 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird diese Stelle also eine zentrale Rolle bei der Kontrolle und Durchsetzung der gesetzlichen Vorgaben der Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen spielen.
Obschon das Gesetz inzwischen wirksam ist, existiert die MLBF existiert noch nicht formal (Startzeitpunkt war der 28.06.2025), hat das Land Sachsen-Anhalt inzwischen aber eine Kontaktmöglichkeit für die MLBF geschaffen.
Wesentliche Aufgaben der Zentralen Marktüberwachungsstelle:
- Erstellung einer Marktüberwachungsstrategie nach § 20 Abs. 2 BFSG
- zentraler Ansprechpartner für die zentrale Verbindungsstelle nach § 27 BFSG
- Information der Öffentlichkeit und der betroffenen Unternehmen zu Anwendbarkeit und Umsetzung des BFSG
- Koordination von Maßnahmen zur Marktüberwachung von Produkten und Dienstleistungen
- Berichterstattung an die EU-Kommission nach § 36 BFSG
Politischer Rückenwind? • Unterschiedliche Signale aus der Parteienlandschaft
Während SPD, Grüne und Linke das BFSG als wichtigen Fortschritt sehen und auf Erweiterungen drängen (z. B. Ausweitung auf kleine Betriebe), kommen aus FDP und Teilen der CDU/CSU eher zurückhaltende Töne: Man wolle die Wirtschaft nicht überfordern.
Die AfD äußert sich kaum zum Thema.
„Digitale Barrierefreiheit darf kein Nice-to-have bleiben“, so die grüne Bundestagsabgeordnete Corinna Rüffer, “sie ist ein Menschenrecht.“
Wie schätzt ein Fachanwalt für IT-Recht und Gewerblichen Rechtsschutz das BFSG ein?

In einem Gastbeitrag auf der BürgerZeitung Mönchengladbach zieht der Münchener Rechtsanwalt Daniel Loschelder dieses “Zwischenfazit”:
“Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ist ein wichtiger Schritt in Richtung mehr Inklusion und Teilhabe.
Es verpflichtet erstmals weite Teile der Privatwirtschaft zu konkreten Maßnahmen, um Barrieren abzubauen.
Dennoch bleibt das Gesetz in vielen Bereichen hinter den Erwartungen zurück.
Ein wirklich umfassender Zugang zu allen Lebensbereichen ist weiterhin nicht gesetzlich garantiert.” (Zitat Ende)
Loschelders interessante Ausführungen sind hier nachzulesen:
Was können Betroffene und deren Interessenvertreter tun, um Verwaltungen und Wirtschafts- und kommunale Unternehmen für die Teilnahme an einem freiwilligen Schlichtungsverfahren zu „motivieren“?
Auch wenn die Teilnahme freiwillig ist, kann die Verweigerung negativ gewertet werden, sollte einem solchen Schlichtungsverfahren ein Prozess vor Gericht folgen.
Eine Teilnahme signalisiert hingegen Dialogbereitschaft und stärkt die eigene Position im Falle späterer Verfahren.
Hier einige “Motivationsargumente”:
Vermeidung von Gerichtsverfahren
Die Schlichtung bietet die Möglichkeit, Streitigkeiten unbürokratisch, kostenfrei und öffentlichkeitsarm zu lösen – ohne Gerichtsprozess.
Imagegewinn durch Kooperationsbereitschaft
Eine einvernehmliche Lösung mit Betroffenen zeigt gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein und stärkt Ihre Außenwirkung – besonders im Bereich Inklusion und CSR (Corporate Social Responsibility), also gesellschaftlicher Verantwortung.
Transparenz und Rechtssicherheit
In der Schlichtung können technische, rechtliche und praktische Fragen gemeinsam mit Experten der Schlichtungsstelle geklärt werden – bevor Sanktionen oder Reputationsverluste drohen.
Chance auf konstruktiven Dialog
Viele Unternehmen, öffentliche Stellen und Unternehmen der öffentlichen Hand konnten in ähnlichen Fällen gemeinsam mit Betroffenen gute Lösungen finden – oft sogar über die Mindestanforderungen hinaus
Welche Mönchengladbacher Unternehmen mit kommunaler Beteiligung müssen gemäß BFSG handeln?
- Entwicklungsgesellschaft der Stadt Mönchengladbach mbH (EWMG)
- Gesellschaft für Wertstofferfassung, Wertstoffverwertung und Entsorgung Mönchengladbach mbH (GEM)
- Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft mbH Mönchengladbach (GWSG mbH)
- Kreisbau AG
- Lokalradio Mönchengladbach Betriebs-Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. KG
- Mönchengladbacher Abfall-, Grün- und Straßenbetriebe AöR (mags)
- Marketinggesellschaft Mönchengladbach mbH (MGMG)
- NEW AG
- NEW mobil und aktiv GmbH
- ParkenMG GmbH
- PPG – Nordpark GmbH:
- Sozialholding der Stadt Mönchengladbach GmbH
- Städtische Kliniken Mönchengladbach GmbH
- Standort Niederrhein GmbH
- Theater Krefeld und Mönchengladbach gGmbH
- Wirtschaftsförderung Mönchengladbach GmbH (WFMG)
0 Kommentare